1. Herr Stöhr, wie würden Sie den durchschnittlichen deutschen Anleger charakterisieren?
Beim Durchschnitt fängt das Problem schon an, denn ich glaube nicht, dass es den wirklich gibt; rechnerisch vielleicht, aber das dürfte nicht sehr aussagekräftig sein.
2. Wie meinen Sie das?
Generell besaßen bis zum Jahr 2019 nur etwa 15 Prozent der Deutschen Aktien; zieht man die Investitionen in Fonds ab, beträgt die Quote sogar weniger als die Hälfte dessen. Wie sehr sich diese Quote im in vieler Hinsicht außergewöhnlichen 2020 erhöht hat, dazu gibt es noch keine repräsentativen Erhebungen. Innerhalb dieser engen Bandbreite sind die individuellen Risikoprofile jedoch nicht standardnormalverteilt, sondern befinden sich an den äußeren Enden der Risikobereitschaft bzw. Risikoaversion. Von einem durchschnittlichen Profil zu sprechen, wäre daher nicht präzise.
3. Anlegen zwischen Angst und Gier also?
Das klingt zwar archaisch, ist aber nicht ganz falsch. Zu Zeiten des Neuen Marktes konnte man beobachten, wie Menschen, die zuvor nie investiert waren, plötzlich Aktien kauften, weil sie sahen, dass der Nachbar damit Erfolg gehabt hatte. In vielen Fällen ging das schief und die meisten der Betroffenen haben sich wahrscheinlich für immer vom Aktienmarkt zurückgezogen. Auch wenn die Dotcom-Blase von damals eine Extremsituation darstellt, werden dieselben Fehler immer wieder gemacht. Menschen investieren zuerst gar nicht, glauben dann, dass ein bestimmter Trend anhält oder sie mit der einen Aktie nichts falsch machen können und setzen schließlich teilweise ihre gesamte Altersvorsorge aufs Spiel.
4. Würden Sie diese Menschen als ängstlich oder eher gierig bezeichnen?
Das ist in diesem Fall dasselbe, da die Entscheidung für oder gegen ein Investment nur zwischen diesen beiden gegensätzlichen Positionen getroffen wird. Investitionen in Einzelwerte, so solide diese auch sein mögen, erfordern zwangsläufig immer auch Absicherungs- und Komplementärstrategien. Es ist zumindest eine große Herausforderung, das auf Hobby-Basis realisieren zu wollen. Natürlich ist es unter Umständen sinnvoll, spekulativ zu handeln. Allerdings sollten diese Engagements immer nur einen kleinen, überschaubaren Anteil des Portfolios ausmachen.
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5. Wie können Anleger Angst und Gier denn abstellen oder überwinden?
Das sollten sie gar nicht. Sie sollten sich derer jedoch als feste Bestandteile unseres generellen Verhaltens bewusst sein und sie nicht als wertende Charakterprägungen sehen. Das heißt, dass diese durchaus etwas Positives haben. Wenn ich Angst habe, muss ich diese nicht zwangsläufig überwinden, wenn ich der Meinung bin, dass diese auf vernünftigen Erfahrungswerten beruht oder ich einfach nicht gut mit einer bestimmten Art von Druck umgehen kann, etwa der Angst vor Verlusten. Man sollte sich immer vor Augen halten, was einen motiviert hat, sich „zu überwinden“. Wenn Angst das Zögern vor dem Sprung ist, dann ist Gier der zu weit angesetzte Sprung und das Ignorieren von potenziellen Hemmnissen. Und auch darauf basiert ein Teil unserer Persönlichkeit, das heißt, ohne diese Gier bleiben wir auch immer innerhalb unserer Grenzen.
6. Glauben Sie, dass es in Deutschland an Kapitalmarkt-Allgemeinbildung fehlt?
Das glaube ich allerdings. In Sachen Finanzplanung und Anlagestrategien fehlt es bereits am Bewusstsein für die grundsätzliche Notwendigkeit dieser Dinge, vom relevanten Basiswissen oder psychologischen Aspekten ganz zu schweigen. Generell wäre es wichtig, den Menschen mit systematischer Bildung in diesem Bereich die Vorbehalte in Hinblick auf Aktien- und andere als „riskant“ empfundene Kapitalanlagen zu nehmen.
7. Wie könnte man dem entgegenwirken?
Es muss Aufklärungskampagnen geben – nicht nur für ein paar Wochen oder Monate, sondern im Prinzip über viele Jahre und generationsübergreifend. Diese Programme müssen bereits in den Schulen beginnen. Noch 1989 bewegte sich der Dax um die 1.000 Punkte, heute sind wir auf einem Niveau von rund 14.000 angelangt. Wenn man sich hierzu den Mechanismus von intelligenten Vorsorgeplänen vergegenwärtigt und den Vermögenseffekt, der mit solchen Steigerungsraten einhergeht, dann spricht das, unabhängig von Schwankungen, wohl für sich. Das Bewusstsein für einen verantwortungsvollen, wachstumsorientierten Umgang mit Geld muss so früh wie möglich geschaffen werden. Es geht hier immerhin um nicht weniger als eine adäquate Vorsorge fürs Alter, aber auch um andere, mittelfristigere Finanzziele. Eine kluge Finanzplanung unterstützt einen höheren Lebensstandard, hierfür ist entsprechende Bildung unerlässlich. Umgekehrt wird mangelndes Wissen immer teuer. Sparzinsen liegen weit unterhalb der Inflation. Aktien und Anleihen können fixe und variable Erträge einbringen, die vom Kursverlauf unabhängig sind.
Vielen Dank für das Gespräch.
Tobias Stöhr verantwortet als Sales Executive bei Spectrum Markets die Geschäftsentwicklung der Orderflowprovider. Zuvor war er über elf Jahre in verschiedenen Positionen für die Börse Stuttgart tätig. Spectrum Markets ist eine pan-europäische multilaterale Handelsplattform (MTF) für verbriefte Derivate, die sich an Finanzinstitute und deren Privatanleger richtet und den Handel 24 Stunden an 5 Tagen pro Woche anbietet.
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